Einblicke

"KI nur um der KI willen ist der falsche Ansatz"
Expertenmeinung

“KI nur um der KI willen ist der falsche Ansatz”

17. Dezember 2024

Vera Grote ist Partnerin bei Johanssen + Kretschmer (JK) und leitet das Cluster „Akzeptanz und Infrastruktur“. Sie ist seit über 20 Jahren in der Kommunikationsberatung tätig und Expertin für Bürger:innendialog und Öffentlichkeitsbeteiligung. Zusammen mit Stefan Exner, Geschäftsführer und Chief Technology Officer bei MVP Lab, analysiert und berät sie zu den Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) im Kontext von Dialog und Beteiligung. Im Gespräch diskutieren sie, welche Einsatzbereiche es für KI im Rahmen von Dialog und Beteiligung gibt, welche Vorteile die KI-Nutzung für Bürger:innen, Stakeholder und Mitarbeitende in der Projektkommunikation mit sich bringt, und worauf bei der Implementierung besonders zu achten ist.

JK: Liebe Vera, lieber Stefan, ihr seid einzeln schon seit vielen Jahren in beratenden Funktionen tätig, um sowohl technische Lösungen in Unternehmen als auch passende Formate für erfolgreiche Bürger:innendialoge und gute Öffentlichkeitsbeteiligung zu entwickeln. Nun habt ihr euch zusammengetan, um Dialog und Beteiligung mit den technischen Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz zu verbinden. Wie kam es zu dieser Verschmelzung eurer beiden Kernbereiche?

Vera Grote: Ich bin seit Anfang 2000 in der Kommunikationsberatung tätig und habe somit natürlich schon die eine oder andere technologische Entwicklung begleitet, vor allem im Bereich der Digitalisierung. Was wir aber nun seit einiger Zeit branchenübergreifend mit dem zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz erleben, ist absolut fundamental und wird unsere Arbeit wie auch viele Bereiche unseres Zusammenlebens stark verändern. Das Thema Dialog und Beteiligung bildet hier keine Ausnahme. Bei JK war es uns wichtig, KI früh in unsere internen Arbeitsprozesse einzubinden und gleichzeitig herauszufinden, wie wir diese Technologien für unserer Kund:innen nutzbar machen können. Gerade in Bezug auf mein Kernthema, die Akzeptanz von Infrastruktur, gehen die Einsatzmöglichkeiten von KI grundsätzlich in zwei Richtungen. Damit meine ich zum einen das Informieren und die Einbindung der an Infrastrukturvorhaben interessierten Öffentlichkeit, darunter betroffene Bürger:innen und weitere Stakeholder. Hier geht es vor allem darum, Inhalte mit Hilfe von KI besser und verständlicher aufzubereiten und zu kommunizieren. Zum anderen kann KI die Stakeholdermanager:innen und Kommunikationsreferent:innen bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Relevante Einsatzbereiche sind hier aus meiner Sicht vor allem Analyse, Monitoring, Issue Management und Erfolgsmessung.

JK: Stefan, wie siehst du das?

Stefan Exner: Grundsätzlich stimme ich Veras Sichtweise auf die beiden „Stoßrichtungen“ von KI in der Akzeptanzkommunikation zu. Doch bei aller Begeisterung für die vielfältigen und vielversprechenden möglichen Einsatzfelder von Künstlicher Intelligenz muss ich als beratender Digital Solution Architect bei Kund:innen immer wieder darauf hinweisen, dass KI nur um der KI willen der falsche Ansatz ist. Für einen zielgerichteten Einsatz von KI ist zunächst immer eine ergebnisoffene Analyse erforderlich, wie ein Problem oder ein Arbeitsprozess bislang gelöst beziehungsweise gestaltet wurde. Als nächstes muss klar sein, was das Ziel des Einsatzes von KI zur Lösung dieses Problems oder zur Optimierung eines bereits bestehenden Arbeitsprozesses ist. Und schließlich muss kritisch hinterfragt werden: Löst KI dieses Problem wirklich, beziehungsweise macht es diesen Arbeitsprozess tatsächlich schneller und effizienter? Und wenn ja, stehen die Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen? Erst wenn all diese Fragen zufriedenstellend beantwortet werden können, sollte man sich ans Werk machen und KI implementieren.

JK: Danke für diese realistische Einschätzung. Gehen wir für den Moment davon aus, dass wir alle diese Fragen positiv beantworten können und nun die Ärmel hochkrempeln dürfen, um KI in die Arbeit der Stakeholdermanager:innen und Kommunikationsreferent:innen zu implementieren. Könnt ihr uns ein paar Beispiele geben, welche Einsatzmöglichkeiten konkret denkbar und ratsam wären?

Vera Grote: Sehr gerne! Wie bereits gesagt, kann KI bei der Aufbereitung und Vermittlung von Informationen von großem Wert sein. Alle, die schon einmal eine generative KI wie ChatGPT verwendet haben, wissen, wie niedrigschwellig und intuitiv es ist, mit dem Prompten anzufangen und ins „Gespräch“ mit der KI zu kommen. Generative KI sind sehr gut darin, die ihr zur Verfügung gestellten Informationen bedarfsgerecht aufzubereiten und weiterzugeben. Dies kann man sich im Dialog mit Bürger:innen zunutze machen. Ich denke hier an einen KI-Chatbot, der an ein Large Language Model gekoppelt ist und beispielsweise als Dialogfenster auf einer komplexen und mit vielen Inhalten befüllten Projektwebseite eingesetzt wird. Eine solche KI kann Interessierten bei der Nutzung der Webseite einiges an Sucherei nach der richtigen Unterseite, dem aktuellsten Sitzungsprotokoll oder der favorisierten Trassenvariante ersparen: Einfach dem KI-Chatbot ähnlich wie ChatGPT eine Frage stellen und sofort die gesuchten Inhalte als Antwort aufbereitet bekommen. Und mehr noch: Eine solche generative KI bestens geeignet, den Antwortstil anzupassen, sofern präzise gepromptet wird. So können Antworten in einfacher Sprache oder gleich in einer komplett anderen Sprache wiedergegeben werden. Auf diese Weise können wir Sprachbarrieren einfach und schnell überwinden und viel mehr Menschen erreichen – auch solche, die sich bislang von der Projektkommunikation nicht angesprochen fühlten oder Verständnisschwierigkeiten hatten. Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie KI dabei helfen kann, Informationen bereitzustellen und den Dialog schneller, besser und effizienter zu machen.

JK: Und wie verhält es sich mit dem zweiten Einsatzgebiet, also der Unterstützung von Stakeholdermanager:innen und Kommunikationsreferent:innen im Tagesgeschäft?

Stefan Exner: Hier sollten wir uns vor allem das enorme Potenzial zunutze machen, das Künstliche Intelligenz beim Verwalten und Auswerten von Wissen und Daten entfaltet. Man stelle sich folgende Situation vor: Eine Stakeholdermanagerin möchte mit der Kommunikationsarbeit für ein Infrastrukturprojekt beginnen und startet natürlich zunächst mit strategischen Überlegungen. Dazu muss sie die Region kennen, in der ihr Projekt angesiedelt ist, um zu wissen, welche Issues in der Vergangenheit bereits zu kommunikativen Risiken geführt haben, wie die Stimmung vor Ort ist und welche anderen Infrastrukturprojekte es in der Umgebung gibt, die sich positiv oder negativ auf die eigene Projektkommunikation auswirken könnten. KI kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Sie kann beispielsweise eine Online-Diskurs- und Medienanalyse durchführen oder alle verfügbaren Informationen zu anderen Projekten in der Region auswerten – und das in kürzester Zeit. Auf Basis der Informationen kann die Stakeholdermanagerin sich ein umfassendes Bild von der Lage vor Ort machen und darauf aufbauend eine geeignete Kommunikationsstrategie entwickeln.

Vera Grote: Ich finde Stefans Punkt unglaublich wichtig! Sein Szenario zeigt aber auch, dass KI immer nur so gut ist wie die Daten und Informationen, die ihr zur Verfügung stehen. Nur bei ausreichender Informationsdichte und -fülle kann Künstliche Intelligenz Ergebnisse produzieren, die für die Menschen hilfreich und relevant sind. Für das Beispiel der Stakeholdermanagerin stellt sich damit die Frage: Wo bekommt die KI die Daten her, die sie braucht, um ein plastisches und korrektes Bild einer Projektregion zu vermitteln? Viele KI-Anwendungen können mittlerweile direkt das Internet für Informationen „anzapfen“, allerdings noch mit eher mittelmäßiger Verlässlichkeit. Außerdem sind einige Informationen, die für das Stakeholdermanagement besonders relevant sind, dort selten zu finden, nämlich wie die Menschen vor Ort miteinander über das Projekt sprechen, wie groß die Bereitschaft und das Interesse ist, zu einer Infoveranstaltung zu gehen, und wie erfolgreich die Kommunikationsmaßnahmen anderer Vorhabenträgerinnen für Infrastrukturprojekte in der Region waren, beziehungsweise sind.

JK: Und Künstliche Intelligenz kann hier Licht ins Dunkel bringen?

Vera Grote: Die KI allein kann das nicht, solange sie nicht über die geeigneten Daten und Informationen verfügt. Für die Akzeptanzkommunikation bedeutet dies, dass wir daran arbeiten müssen, digitale Schnittstellen oder geteilte Räume mit den einzelnen Vorhabenträgerinnen zu schaffen. In diesen werden die Daten und Informationen generiert und gesammelt, deren Auswertung die Antwort auf die oben genannten Fragen liefern können. Wir bei JK sind deswegen zusammen mit MVP Lab dabei, eine gemeinsame Dialog- und Beteiligungsplattform für Infrastrukturprojekte zu entwickeln. Die Idee ist, perspektivisch alle Vorhabenträgerinnen in den Bereichen Straße, Schiene, Energie, Häfen und Flughäfen auf dieser Plattform zusammen zu bringen. Dort können sie ihre Projekte einpflegen und ihre Maßnahmen für Dialog und Beteiligung digital gestützt umsetzen und steuern. Bürger:innen können sich mit ihrem Wohnort auf der Plattform registrieren und auf einen Blick sehen, was um sie herum geschieht: Ob beispielsweise in ihrer Nähe eine Straße neu gebaut wird, eine neue Bahntrasse entsteht oder ob entlang der benachbarten Felder die Verlegung eines Erdkabels geplant ist. Darüber hinaus können sie sich über die Plattform auch direkt beteiligen und in einem Kartendialog sachdienliche Hinweise eingeben, sich beim online oder hybrid durchgeführten Infomarkt weiter informieren oder direkt ins Gespräch mit den Planer:innen kommen.

Stefan Exner: Und hier passieren dann gleich zwei nützliche Dinge. Erstens, eine solche Plattform ist auch ohne den KI-Aspekt ein sehr guter Ansatz für einen effizienteren und transparenteren Einbezug der Öffentlichkeit. Zweitens werden durch die Interaktion der User:innen mit der Plattform wertvolle Informationen generiert , die dann wiederum von einer KI ausgelesen und aufbereitet werden können. Um noch einmal auf unsere fiktive Stakeholdermanagerin zurückzukommen: Auf Basis der Informationen, die auf der gemeinsamen Projektplattform zu finden sind, kann die KI genau auswerten, wer in der Region noch tätig ist, wie bereits abgeschlossene Projekte gelaufen sind und was sich über die Stimmung und kritische Issues bei Stakeholdern und in der Bevölkerung sagen lässt. Das Ganze könnte man also als Stimmungs-Forecast oder auch Frühwarnsystem begreifen. Und mehr noch, dieses Monitoring könnte während der gesamten Projektlaufzeit als Konfliktampel weiterlaufen. So könnte die KI die Stakeholdermanagerin auf ein entstehendes, kommunikatives Risiko hinweisen, bevor dieses in ihrem Projekt zum Tragen kommt. Damit hat sie die Möglichkeit, präventiv gegenzusteuern und geeignete Maßnahmen zu planen und umzusetzen, um den Dialog aufrechtzuerhalten.

JK: Das klingt wirklich sehr vielversprechend! Von sehr konkreten, fast fertigen Einsatzmöglichkeiten wie dem Infrastruktur-Chatbot bis hin zum vollautomatisierten Stimmungs-Forecast samt Monitoring auf einer gemeinsamen Dialogplattform ist wirklich einiges möglich, um mithilfe von KI die Akzeptanzkommunikation bei Infrastrukturprojekten voranzubringen. Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um einen Einblick in dieses vielversprechende Feld zu geben!

Über die Interviewten

Vera Grote

Vera Grote ist Partnerin bei Johanssen + Kretschmer. Mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung in der strategischen Beratung von Unternehmen und Organisationen ist sie Expertin im Bereich Dialog und frühe Öffentlichkeitsbeteiligung, insbesondere für komplexe Infrastrukturvorhaben. Als Vorstandsmitglied der DialogGesellschaft und des Kompetenzzentrums Bürgerbeteiligung e.V. setzt sie sich für den Erfahrungsaustausch zu Dialog und Beteiligung sowie Qualität und Innovation von Partizipationsprozesse ein.

Stefan Exner

Stefan Exner ist Geschäftsführer und CTO von Lopo-Technologies und der MVP Lab GmbH. Lopo-Technologies bietet Kommunikationsplattformen an, die Beteiligungsprozesse und lokale Vernetzung erleichtern, etwa durch Projekte wie Stadt-Punkt für die Stadt Stadthagen. Als Digital Solution Architect und Berater unterstützt Stefan Unternehmen bei der Entwicklung innovativer digitaler Produkte und MVPs.