Die Corona-Pandemie hat die Transformation vieler Branchen beschleunigt, indem Vorbehalte abgelegt und Innovationen gewagt wurden. Bei gleichzeitig stark gestiegenem wirtschaftlichem und sozialem Druck wird die Debatte über eine große europäische Strukturreform allerdings noch zu unentschlossen geführt. Angesichts des derzeit stattfindenden Umbruchs wäre eine große ökologische Reform allerdings elementar. Eine grüne Regierungsbeteiligung bietet hierfür sicherlich ein neues Momentum. Dieses kann jedoch nur wahrgenommen werden, wenn die Wirtschaft eine klare und authentische Haltung zur grünen Politik einnimmt, bevor die zentralen Projekte im Koalitionsvertrag feststehen.
Die letzten Umfragen untermauern eine nicht allzu gewagte Prognose: Die nächste Legislatur ohne grüne Regierungsbeteiligung wäre mehr als eine große Überraschung. Doch wie umgehen mit den Grünen? In den nächsten Monaten sollten sich Unternehmen und Verbände vorbereiten.
Als sich die Grünen im Jahr 1998 an einer rot-grünen Regierung unter Führung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer beteiligten, bedeutete dies eine Zäsur für die Bundesrepublik: Während der Regierungszeit wurde mit der Agenda 2010 die bis dato größte Strukturreform in der Geschichte der Bundesrepublik durchgeführt. Zudem wurde der Atomausstieg auf den Weg gebracht. Mehr als 20 Jahre später stehen die Grünen nun erneut vor einer möglichen Regierungsbeteiligung. Der Unterschied: Dieses Mal prognostizieren ihnen die Umfragen Zustimmungswerte jenseits der 20 Prozent. Damit steht auch fest, dass grüne Politik in einer neuen Regierung einen Führungsanspruch erhebt. Doch kommt damit nun auch die große ökologische Strukturreform?
Eine Scheinfreundschaft?
Die deutsche Wirtschaft hat die Machtverschiebung längst erkannt. Seitdem die Umfragewerte der Grünen nach oben zeigen, gehen Unternehmen auf Tuchfühlung. Nicht zuletzt machte dies Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser deutlich, als er die Nominierung von Annalena Baerbock zur grünen Kanzlerkandidatin in den sozialen Medien offen unterstützte. Hinter den medialen Kulissen ist das Stimmungsbild hingegen ein anderes. Viele Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter fürchten den bevorstehenden Umbruch. Sie sehen das grüne Wahlprogramm kritisch und sprechen von einer Zeit der Verbote mit negativen Auswirkungen für die Wettbewerbsfähigkeit. Hier zeigt sich eine zunehmend ambivalente Haltung: Zum einen sucht die deutsche Wirtschaft nach einem guten Draht. Zum anderen ist ihr aber auch bewusst, dass selbst die engsten Beziehungen strikte Regulierungen nicht verhindern werden. Je näher die Wahl im September und die nachfolgenden Koalitionsverhandlungen rücken, desto dringender wird daher eine fundierte Vorbereitung.
Smarte grüne Regulierung
Zunächst sollten Unternehmen und Verbände antizipieren, dass eine grüne Regierungsbeteiligung in jedem Fall eine Zäsur bedeutet. Dies geht bereits aus dem Wahlprogramm der Grünen hervor. Basierend auf dieser Annahme geht es in einem zweiten Schritt dann um die Frage des „Wie?“: Wie sollten regulative Maßnahmen im Detail aussehen, um der Wirtschaft einen Mehrwert zu bieten? Inwiefern kann die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle durch grüne Politik gefördert werden? Und wie wird ein internationales „Level playing field“ sichergestellt? In einigen Fällen mag dies über Mechanismen zur Bevorzugung nachhaltig wirtschaftender Unternehmen in Ausschreibungen funktionieren. In anderen Fällen kann eine gezielte Lenkungswirkung funktionieren. In den nächsten Monaten möchten wir als strategische Kommunikationsberatung daher Möglichkeiten für smarte grüne Regulierung in unterschiedlichen Politikfeldern aufzeigen. Denn eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber den Grünen halten wir für genauso wenig zielführend wie eine Lobbybeziehung ohne Inhalte.