Die Bundestagswahl ist vorbei: Die CDU hat deutlich an Zustimmung verloren – die SPD deutlich hinzugewonnen. Das Zustandekommen einer Ampel-Koalition hängt nun davon ab, welche inhaltlichen Schnittmengen SPD, Grüne und FDP in den Sondierungen miteinander ausloten können. Eine Koalition mit der geschwächten Union scheint zum aktuellen Zeitpunkt nur noch eine theoretische Rückfall-Option zu sein.
Während im politischen Berlin darüber spekuliert wird, wie sich die unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Vorstellungen dreier Parteien unter einen Koalitionshut bringen lassen, spielt eine Frage in der Berichterstattung kaum eine Rolle: die Frage danach, wie sich die Vorhaben einer künftigen Regierung mit den Machtverhältnissen in der gerne übersehenen Länderkammer, dem Bundesrat, umsetzen lassen.
War es vor noch nicht allzu langer Zeit fast schon ein Automatismus, dass die nicht an der Bundesregierung beteiligte Volkspartei eine Mehrheit im Bundesrat hatte und somit ein klar erkennbares Gegengewicht und Regulativ vorhanden war, ist die Lage inzwischen komplexer. Die Parteien in den Ländern regieren bereits in unterschiedlichen Konstellationen miteinander. Eine neue Koalition aus drei Parteien im Bund hätte im Bundesrat weder einen klaren Counterpart noch eine klare Entsprechung und vor allem keine eindeutigen Mehrheiten. Es lässt sich daher annehmen, dass das Stimmverhalten entlang von Partei- oder Regierungslinien weniger vorhersehbar und volatiler wird.
Kommt es zu einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP, haben die unionsgeführten Länder im Bundesrat auf den ersten Blick nur einen begrenzten Handlungsspielraum, weil sie bis auf Bayern in allen anderen Ländern in unterschiedlichen Konstellationen mit den genannten Parteien zusammenarbeiten. Das ist insofern von Bedeutung, weil die Abstimmungsmodalitäten des Bundesrats keine Splittung der Länderstimmen zulassen. Gleichzeitig bedeutet das für SPD, Grüne und FDP, dass sie dort, wo sie in den Ländern mit der Union koalieren, sich entweder auf Kosten der Koalition im Bund (und des Gesetzentwurfs) der Stimme enthalten oder gegen den Koalitionspartner im Land stimmen. In beiden Fällen käme es zu einem nicht einheitlichen Stimmverhalten und damit zu einer nicht vorgesehenen und deshalb als Nein-Stimme gezählten Enthaltung. Die Folge: Zustimmungspflichtige Gesetze würden im Bundesrat die notwendige Mehrheit verfehlen. Hier liegt für die Union die Chance, Gesetzesvorhaben einer Ampelkoalition im Bundesrat zu blockieren.
Eine neue Bundesregierung wird sich also darauf einstellen müssen, gegenüber der Länderkammer von vornherein eine kooperative Grundhaltung einzunehmen und einen höheren kommunikativen Aufwand in der Bund-Länder-Koordinierung einzuplanen. Nur so kann sie vermeiden, dass jedes zustimmungspflichte Gesetz im Vermittlungsausschuss landet.
Für die strategische Interessenvertretung bedeutet das einerseits, sich auf heterogenere Machtverhältnisse einzustellen und andererseits, im Blick zu behalten, welche Gesetzentwürfe der Zustimmung durch den Bundesrat bedürfen. Das wird sich insofern lohnen, weil Mehrheiten weniger deutlich vordefiniert sind und sich deshalb stärker thematisch um konkrete Gesetzesvorhaben formieren werden.
Die anstehenden großen Transformationsprozesse Klimawende und Digitalisierung lassen in den kommenden Jahren einen hohen gesetzgeberischen Output erwarten – sowohl durch die Bundesregierung als auch auf Ebene der EU (insbesondere bei der Umsetzung des Klima-Pakets Fit For 55). Erstere ist auf die Zustimmung der Länder angewiesen – letztere werden in Verordnungen ihren Niederschlag finden, die ebenfalls der Bundesrat erarbeitet und beschließt. In der kommenden Legislatur führt kein Weg am Bundesrat vorbei. Seine Rolle als gesetzgeberischer Akteur sollte also weder von einer künftigen Bundesregierung noch von Interessenvertretern unterschätzt werden.